Gründungsgeschichte der Abtei Gladbach

Der untenstehende auszugsweise Text ist dem Buch "Die Gründungsgeschichte der Abtei Gladbach", herausgegeben vom Stadtarchiv Mönchengladbach, Redaktion Wolfgang Löhr, 1974, Übersetzung Manfred Petry, entnommen.

Der lateinische Originaltext steht in der sog. "Brüsseler Handschrift", datiert im 11. oder 12. Jahrhundert. Diese älteste bekannte Handschrift über die Gründungsgeschichte der Abtei befindet sich in der Societé des Bollandistes in Brüssel.

Sermo in inventione
reliquiarum sanctorum Viti, Cornelii, Cypriani et aliorum in Gladebach

Predigt zur Auffindung der Reliquien der Heiligen Vitus, Cornelius, Cyprian und anderer in Gladbach

Auszug aus dem Brüsseler Manuskript

(...) Gero, dem wir ein frommes Andenken bewahren, war auf Folkmar als Erzbischof von Köln gefolgt und wachte als umsichtiger Hirt über die ihm anvertraute Herde. Er war reich an guten Eigenschaften, ein durchaus lobenswerter Charakter und nicht er selbst, sondern Gott hatte ihn empfohlen. Als nun der eifrige Mann seine unermüdliche Hingabe in eine gottgefällige Tat umzusetzen trachtete, wurde ihm göttlicherseits offenbart, er solle auf einem waldigen Hügel in der Nähe eines Bächleins Gott und dem hochgeschätzten Märtyrer Vitus ein Kloster erbauen und es den Regeln entsprechend zur Übung klösterlicher Frömmigkeit einrichten.

Der gottergebene Bischof zögerte nicht, den Willen Gottes auszuführen. Im Kloster St. Maximin - aus diesem Weinberg, von Mönchen bestellt, drang damals der Ruf der Tugendhaftigkeit wie der Blütenduft aufsprießender Trauben weit ins Land - wußte er einen wackeren Mann namens Sandrad, der durch klösterliche Zucht hervorragend geschult war, die Ausführung des gedachten Werkes in die Hand zu nehmen. Als er ihm auseinandergesetzt hatte, wie es sich mit seinem Vorhaben und der göttlichen Offenbarung verhielt, war dieser bereit, mit ihm die verschiedenen Gegenden seiner Diözese zu durchwandern, um so vielleicht den von Gott vorausbestimmten Platz zu finden.

Die frommen Kundschafter zogen also hinaus und erwarteten, daß Gottes Eingebung ihre Schritte lenken und seine Hilfe das Werk vollenden würde. Sie hatten bereits in Sachsen eine Reihe von Plätzen sorgsam geprüft, als sie nach Leichlingen kamen und beschlossen, hier einige Zeit zu verweilen. Nachdem sie sich etwas ausgeruht, brachen sie auf, um in Muße alles sehr eingehend zu betrachten, und fanden den Platz, der, wie es schien, dem Traumbild genau entsprach, zumal die Wupper nahe vorbeifloß. Sie waren hocherfreut darüber, und in dem Glauben, gefunden zu haben, was sie im Gebet gesucht, sangen sie das Lob des Herrn, der denen immer beisteht, die ihn mit reinen Händen und lauterem Herzen anrufen. Sie begannen sogleich, das Gelände für die Kloster- und Wirtschaftsgebäude einzufriedigen.

Aber Gott der Allmächtige, den frommen Bitten der Gläubigen stets zugeneigt, litt es nicht, daß sie sich länger vergebens abmühten, sondern gab ihnen offenkundig ein Zeichen, daß dies nicht der Platz sei, welchen er dem frommen Bischof für den Bau vorausbezeichnet hatte. Denn als das Werk bereits begonnen war und täglich wuchs, kamen Boten des Kaisers Otto II. (...). Der Bischof (...) befahl noch vor der sonst üblichen Zeit, das Mahl zu bereiten; denn es ist nun einmal des Menschen Art, Freunden gegenüber so zu handeln, daß er sich ihres Beifalls freuen kann. Alle langten tüchtig zu. Die königlichen Boten nahmen die Ehrenplätze gegenüber dem Bischof ein. Der eine von ihnen war ein Kleriker, der andere ein Laie. Der Bischof ließ ihnen eine köstlich zubereitete Hirschleber vorsetzen; es war nämlich Herbst und die hohe Zeit der Hirschjagd. So wie nun der Laie sich ein Stück davon abschnitt, schnappte es ihm der Kleriker gierig weg, bis jener schließlich dem Kleriker im Scherz mit seinem Messer eine ganz leichte Wunde am Knie beibrachte. Und obwohl dieser kaum einen Tropfen Blut verlor, ereilte ihn doch auf der Stelle der Tod.

(...) Als aber der weise und verständige Bischof seine Fassung wiedergewonnen hatte, ließ er Ruhe gebieten und hielt folgende Rede: "(...) Gott, der das Kommende voraussieht, hat offenbart, was uns noch verborgen war und was menschlicher Scharfsinn niemals erahnt hätte, und hat seinen Dienern bedeutet, daß das hier begonnene Werk nicht seinem Willen entspricht. Man kann nämlich nicht gut glauben, er würde diesen Ort entweihen lassen, kaum daß mit dem Bau begonnen wurde, wenn er vorgehabt hätte, ihn als Stätte klösterlichen Lebens auszuzeichnen. (...) Da also der Herr diesen Platz nicht erwählt hat, bin ich der Meinung, daß wir ihm gehorchen und an einen anderen Ort gehen müssen. (...)"

(...) Sie zogen also von dannen und beschlossen, auf der andern Seite des Rheins weiterzusuchen. Lange wanderten sie umher und gelangten schließlich jenseits der Bistumsgrenzen in den Mühlgau. Hier stießen sie auf einen unbewirtschafteten Berg, den dichter, schattiger Wald überzog, welcher kaum den Blick auf die Ruinen einer alten Kirche und längst verfallene Wohngebäude freigab. Von den älteren Leuten wurde ihnen erzählt, daß zur Zeit Karls des Großen ein gewisser Balderich, einer der Vornehmen des Reiches, die Kirche auf dem Berg erbaut und sie mit sehr kostbaren Heiligenreliquien und reichlichen Einkünften wie eine innigstgeliebte Braut ausgestattet hatte. Später aber (...) zog das überaus ruchlose Heidenvolk der Ungarn unter schrecklichen Greueln mordend und plündernd durch Frankreich und Deutschland und näherte sich auch jener Gegend. Da bargen die Hüter der Kirche die Heiligenreliquien in einem großen hohlen Stein, der heute noch zu sehen ist, und vergruben ihn in der Erde. Denn für den Fall - der dann ja auch eintrat -, daß sie sich und ihren Besitz nicht mehr zu schützen vermöchten, sollten wenigstens diese Perlen nicht vor die Säue geworfen werden und die Heiligtümer nicht vor die Hunde gehen.

Auf diesem Berg weilten sie um den 7. Juli. Da der Bischof in anderen Geschäften unterwegs war, machte sich der Mönch Sandrad auf, um den Platz der üblichen Erkundung zu unterziehen. Als er nun bemerkte, daß am Fuß des Berges ein kleiner Bach vorüberzog und im Tal allenthalben Quellen hervorsprudelten, man also auch Fischteiche anlegen konnte, da erkannte der gottergebene Mann hierin den Ort, den Gott dem heiligen Bischof gezeigt hatte. Von Herzen froh, ließ er den Bischof herbeirufen und zeigte ihm tief bewegt den lange gesuchten Platz, der dem Traumbild entsprach.

Sie frohlockten in geistlicher Freude und gelobten, drei Tage lang zu fasten, um die Gnade dessen zu erflehen, von dem alles Gute ausgeht, auf daß er ihnen ein offenbares Zeichen gebe, ob in dem Traum des Bischofs eben dieser Berg der Klostergründung zugedacht war. Als sie nun nach dem feierlichen Fasten die dritte Nacht wachend verbrachten, hörten sie um den Hahnenschrei dort, wo jetzt die Kirche des hl. Vitus steht, selige Geister in den lieblichsten Tönen singen: "Der hl. Vitus stimmte, vom Feuer des Ofens unverletzt, den Gesang an: Du hast mich geprüft, Herr, wie Gold im Feuer geläutert, und keine Unlauterkeit wurde in mir gefunden."

Am Morgen unterhielten sie sich über das, was sie gehört; sie freuten und beglückwünschten sich und erklärten einander, was die Erscheinung wohl verheiße, und sie machten sich alsbald mannhaft ans Werk. Wir zur Erhöhung ihres gottgefälligen Tuns gab die Erde einen himmlischen Schatz preis: Als nämlich die weisen Baumeister dort den Spaten anstetzten, wo sie des Nachts den Gesang der Engel vernommen, fanden sie - Ehre sei Dir, Christus! - den bereits erwähnten Stein, in dem die Reliquien der hochgeschätzten Märtyrer Vitus, Cornelius, Cyprian, Chrysantus und Barbara verborgen waren.

Aus dem Buch "Gründungsgeschichte der Abtei Gladbach"

buch_gruendungsgeschichte (c) Pfarre St. Vitus

Faksimile der Brüsseler Handschrift

Faksimile der Brüsseler Handschrift (c) Pfarre St. Vitus

Der hohle Stein

Der hohle Stein als Halter für die Osterkerze (c) Pfarre St. Vitus

Der hohle Stein, in dem die Reliquien 974 gefunden wurden, dient nun als Halter für die Osterkerze.