Orgeln Münster-Basilika St. Vitus

Die Münster-Basilika St. Vitus ist die älteste Kirche der Stadt Mönchengladbach und hat auch dadurch eine Kirchenmusikgeschichte, die bis ins 11. Jahrhundert zurückreicht. Der Alltag in einem Benediktiner-Kloster ist heute wie damals geprägt vom täglichen gesungenen Stundengebet. Somit stand die musikalische Praxis, wenn man davon ausgeht, dass es täglich sieben Gebetszeiten gab, im Zentrum des klösterlichen Lebens. Davon zeugen frühe gregorianische Handschriften im Münsterarchiv.

Es ist davon auszugehen, dass es zur musikalischen Unterstützung des Konvents bereits im 15. Jahrhundert, aber sicher seit Anfang des 16. Jahrhunderts eine Orgel in der ehemaligen Benediktiner-Klosterkirche gegeben hat. Da dieses erste, sicherlich kleine Instrument eng mit dem liturgischen Vollzug verbunden war, ist diese erste Orgel des Münsters als Schwalbennest-Orgel an der Nordwand des Chores direkt über dem Chorgestühl zu verorten.

Mehrstimmige Chorpraxis?

Über eine mehrstimmige Chorpraxis in abteilicher Zeit gibt es nur spärliche Angaben. Sicher ist, dass die Bibliothek der Abtei Gladbach seit dem Jahre 1562 mehrere Bände mit Motetten des Komponisten Clemens non Papa besaß. Dies legt nahe, dass diese Musik wahrscheinlich auch erklungen ist und weist auf die frühe Existenz eines Sängerchores hin, der aus Knaben und Männern bestanden haben muss. Erhärtet wird diese Vermutung dadurch, dass die Abtei seit dem 14. Jahrhundert eine an die Abteikirche angebaute Lateinschule unterhielt, in der Jungen aus der Stadt unterrichtet wurden. Es ist deshalb zu vermuten, dass die Schüler der Lateinschule, wie damals üblich, auch im Chorgesang unterwiesen wurden.

Einfluss von Cornelius Burgh

Unter Abt Arnold von Hückelhoven, der als Förderer von Wissenschaft und Kunst galt, stellte der Benediktinerkonvent Gladbach um das Jahr 1615 den aus Köln stammenden Musiker Cornelius Burgh ein. Burgh hatte an der Kölner Universität studiert und war ein qualifizierter Organist, Komponist und Kapellmeister, der verschiedentlich auch als Orgelsachverständiger befragt wurde und im Laufe seines Schaffens ein umfangreiches dreibändiges Motetten-Werk vorlegte. Burgh, der später an die Lambertus-Kirche nach Erkelenz wechselte, hat wahrscheinlich mit dem Orgelbauer Johann Schaden gemeinsam eine neue Orgel für die Erkelenzer Pfarrkirche geplant.

Es ist sicher kein Zufall, dass in den Jahren 1630/31 Johann Schaden als „Joannes der Orgelmecher“ in den Gladbacher Kirchenbüchern verzeichnet ist. Es spricht deshalb vieles dafür, dass Schaden unter Verwendung des Pfeifenmaterials der Renaissance-Schwalbennest-Orgel damals den Neubau einer Orgel vorgenommen hat. Wenn man die Dispositionen der Schaden-Orgeln von Klosterrath, Erkelenz und der Extraktion der Register aus der Barocken Münsterorgel, die 1856 aus dem Münster entfernt wurde, vergleicht, findet man viele Parallelen, die vielleicht sogar noch die Handschrift von Cornelius Burgh tragen.

Das Odeum - die Sängerempore

Wo Meister Schaden das neue Orgelwerk aufgestellt hat, bleibt unklar. Vielleicht wählte er damals schon den Ort, den der Historiker Peter Ropertz beschreibt. Dort heißt es, sie sei damals an einem Fenster am Ende des Mittelschiffs auf der linken Seite aufgestellt oder aufgehängt worden. Diese Orgel stand also in unmittelbarer Nähe des zu dieser Zeit noch vorhandenen Lettners. In Karl Dreimüllers Aufsatz über die Orgelgeschichte der Abtei Gladbach aus dem Jahre 1954 wird der Lettner als "Odeum", also als Sängerempore bezeichnet. Denkbar wäre auch, dass Johann Schaden sein Orgelwerk zu den Sängern auf das Odeum gestellt hat. Sicher ist, dass Abt Ambrosius Steingens im Zuge der radikalen Barockisierung seiner Klosterkirche 1686 die vorhandene Orgel überarbeiten und das kunstvolle Odeum (Lettner, Sängerempore) niederreißen ließ.

Abt Petrus Knor (1703-1725), dessen Wappen die Vorderseite der großen Barockorgel des Münsters zierte, ließ die Orgel noch einmal erweitern und überarbeiten. Wahrscheinlich bekam das Instrument dann 1786 die Gestalt, die auf dem Foto von 1929 aus der Pfarrkirche zu Elsen, zu der sie 1856 durch Ankauf gelangte, zu sehen ist. Abt Lambertus Raves ließ nämlich in diesem Jahr, wie es in älteren Quellen heißt „zur Bequemlichkeit der Sänger“ die Orgel auf eine zu diesem Zweck errichteten, weitvorspringenden Bühne, gerade vor der Turmempore aufstellen und um 4 Register erweitern. Das zweimanualige Werk mit 24 Registern und angehängtem Pedal, war eine typisch rheinische Orgel des 18. Jahrhunderts mit reichem Ornament- und Figurenschmuck. Die Arbeiten wurden von Meister Maximilian Schauten aus Jüchen durchgeführt.

Das Ende der Benediktiner-Abtei

Schon 16 Jahre später wurde die Benediktiner-Abtei Gladbach aufgelöst, der Besitz von den Franzosen beschlagnahmt und die Klosterkirche geschlossen. Der letzte Prior der Abtei, Cornelius Kirchrath, wurde zum Oberpfarrer von Gladbach ernannt. Schon unter seinem Nachfolger Albert Bischoff wurde im Jahre 1834 der Kirchliche Gesangverein der Hauptpfarre, der spätere Münsterchor, gegründet. Es war ein reiner Männerchor, der sicher in der ersten Zeit bemüht war, die gregorianische Tradition der Abtei fortzuführen. Doch gibt das Münsterchorarchiv auch Zeugnis von mehrstimmiger Männerchorliteratur aus dieser Zeit. Dem Zeitgeschmack entsprechend finden wir die Chorwerke der sogenannten Cäcilianer aber auch Werke von Zeitgenossen wie Schubert und Rheinberger.

Nachdem wegen der Entfernung der barocken Ausstattung und einer umfassenden Wiederherstellung des Münsters unter Oberpfarrer Alexander Halm durch den Kölner Dombaumeister Vincenz Statz, die große historische Barockorgel und auch die dazugehörige Sängerempore im Jahre 1862 verkauft worden war, gab es den Neubau einer großen Orgel des Orgelbauers Franz Wilhelm Sonreck, der mehrfach von der Orgelbaufirma Stahlhuth (zuletzt 1935) umgebaut und erweitert wurde. Man wählte erstmalig die sogenannte Abtskapelle oder auch die spätere Heiligtumskammer als Standort für diese Orgel. Da die Heiligtümer im Zuge der Entbarockisierung in den neuerrichteten neogotischen Stephanusaltar untergebracht wurden, wurde dieses Turmgeschoss aus der Stauferzeit für einen Orgelneubau frei. Auf Fotos aus dieser Zeit ist zu erkennen, dass Sonreck den Orgelneubau, wahrscheinlich aus akustischen Gründen, in die Nähe des Triumpfbogens rückte. Im Zuge der Umbauten und Erweiterungen durch Stahlhuth wurde die Orgel dann endgültig an der Westwand der Empore aufgestellt. Das hängt damit zusammen, dass der im Jahre 1870 neu gegründete Knabenchor immer größer wurde und die Hochämter mit der Zeit immer mehr von der Hauptpfarrkirche ins Münster verlegt wurden. In dem Zusammenhang darf nicht vergessen werden, dass das Münster ja seit der Säkularisation des Klosters eine Annexkirche (also eine Kapelle) der Hauptpfarrkirche war. Deshalb fanden alle Hauptgottesdienste mit Chorgesang in der Hauptpfarrkirche statt. Das änderte sich natürlich, als im Jahre 1930 die Münsterkirche zur Propsteikirche erhoben wurde. So erklärt es sich, dass 1935 unter Propst Ferdinand Koenen die große Sonreck/Stahlhuthorgel endgültig an die Westwand der Empore gestellt wurde. Damals hatte der Münsterchor, der zu dieser Zeit noch Kirchlicher Gesangverein der Hauptpfarre hieß, 100 Knaben und 60 Männer. Man brauchte einfach den Platz.  

Nach dem 2. Weltkrieg

Schmerzlich ist, dass diese größte Orgel, die jemals im Münster gestanden hat, im 2. Weltkrieg nicht wesentlich beschädigt war, aber durch Plünderungen des Materials unbrauchbar gemacht wurde.

Im Jahre 1959 entschied sich der Kirchenvorstand gemeinsam mit Münsterkantor KMD Viktor Scholz für einen Orgelneubau durch die österreichische Firma Rieger aus Schwarzach/Vorarlberg, der im Jahre 1961 vollendet wurde. Es war damals mutig aber auch zukunftsorientiert; sicher auch für die damalige Zeit bahnbrechend und richtungsweisend, sich für einen klassischen, neobarocken Aufbau zu entscheiden.

Die Orgel erhielt Schleifwindladen, was zu dieser Zeit, nach einer mehr als achzigjährigen Vorherrschaft anderer Windladensysteme und Trakturen beinahe ein Novum war, eine mechanische Spieltraktur, worüber die wenigsten Orgeln dieser Zeit verfügten (springe zur Disposition der Riegerorgel am Ende der Seite).

Die meisten Pfeifen wurden in der eigenen Werkstätte gefertigt. Darunter befinden sich für die damalige Zeit typische und besonders klanglich reizvolle Zungenstimmen und Aliquote.

Das Instrument besitzt 44 Register auf 3 Manualen und Pedal. Das Gehäuse, in massiver Bauweise aus Mahagoniholz, ist dreiteilig bestehend aus Haupt- und Brustwerk, Rückpositiv und den Pedaltürmen. 

Der Spieltisch ist klein und kompakt und hat ideale Mensuren, die es dem Spieler leicht mache mit ihm zurechtzukommen. Die Registerschaltungen sind logisch und ergonomisch angelegt, ohne übertriebenen Schnickschnack- alles Überflüssige wurde vermieden.

Die mechanisch-elektrische Setzeranlage funktioniert auch heute nach 60 Jahren Gebrauch noch tadellos. Auffallend ist, dass die Verantwortlichen bei der Planung auch an den Chor gedacht haben. Um den Spieltisch herum ist in Form eines Amphitheaters eine Stufenanlage entstanden, die einer sinnvollen Choraufstellung entgegenkommt.

Im Jahre 2008, nach dem Abschluss der Sanierungsarbeiten an der Münsterkirche, wurde die Orgel durch die Erbauer- Firma generalüberholt und unverändert, gleichsam als Denkmal ihrer Zeit, wieder eingebaut und in Dienst genommen.

Schlussbetrachtung

Aus der zusammengefassten kirchenmusikalischen Entwicklung der ehemaligen Abtei Gladbach und dem späteren Münster wird deutlich, dass bei einer Aufarbeitung der Orgelgeschichte die chorische Seite mitgedacht werden muss. Heute wie zu aller Zeit ist die Orgel mit den vokalen Ensembles untrennbar verbunden. Es wird aber auch deutlich, dass es zu allen Zeiten Menschen gab, die bereit waren, oft unter hohen finanziellen Anstrengungen, eine möglichst gute Grundlage für die musikalische Gestaltung der Liturgie zu schaffen.

Klaus Paulsen

Disposition der Riegerorgel in der Münster-Basilika St. Vitus

1. Manual Rückpositiv:
Rohrflöte 8'
Salicional 8'
Principal 4'
Koppelflöte 4'
Gemshorn 2'
Quinte 1 1/3'
None 8/9',
Sesquialter 2fach
Scharff  4fach 1'
Krummhorn 8'
Schalmey 4'
Tremulant

2. Manual Hauptwerk:
Pommer 16'
Principal 8'
Spitzflöte 8'
Octave 4'
Rohrflöte 4'
Quinte 2 2/3'
Superoctave 2'
Cornett 6fach
Larigot 2fach 1 1/3' + 1'
Mixtur 6fach 1 1/3'
Trompete 8' (horizontal)
Clairon 4' (horizontal)
Tremulant

3. Manual Brust-Schwellwerk:
Holzgedackt 8'
Quintade 4'
Holzrohrflöte 4'
Principal 2'
Blockflöte 2'
Terz 1 3/5'
Sifflet 1'
Cymbel 2fach 1/2'
Musette 16'
Rankett 8'
Tremulant
Zimbelstern (im Rückpositiv installiert).


Pedalwerk:
Subbaß 16'
Octavbaß 8'
Subbaß 8'
Quinte 5 1/3'
Choralbaß 4'
Nachthorn 2'
Hintersatz 4fach 2 2/3'
Dulcian 16´ (ersetzt 1980 durch Bombarde 16´)
Posaune 8'
Zinke 4'
Regal 2´ (1980 ersetzt durch Götz 4', einer Labialstimme)

Schleifladen, mechanische Spiel- und elektrische Registertraktur.

 

Bilder der Orgeln der Münster-Basilika

16. März 2021
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