Der Karneval („carne vale“ – „dem Fleisch Lebewohl sagen“), der Fasching oder die Fastnacht („Fastelovend“ – „Fast-Abend“) bezeichnen den Übergang zwischen dem alltäglichen Leben und der Zeit des Fastens, in der sich die Christinnen und Christen durch Verzicht auf Fleisch, Alkohol und andere Genüsse und durch Besinnung auf das Fest der Auferstehung Christi vorbereiten.
Beim Karneval aber darf die Welt noch einmal auf dem Kopf stehen, dürfen die Herrschenden in Kirche, Politik und Gesellschaft in Büttenreden, Liedern und farbenprächtigen Umzügen verspottet werden. Fleisch, Fettgebackenes, Alkohol und Süßigkeiten gibt es im Überfluss, um sich für die Zeit der Entbehrung zu rüsten.
Ein ähnlich ausgelassen fröhliches Fest feiern die jüdischen Gemeinden fast zeitgleich mit unserem Karneval:
Purim. Besonders die Kinder freuen sich, phantasievoll gekleidet in andere Rollen schlüpfen zu können. Als Clowns und Prinzessinnen, Monster, Hexen, Tiergestalten u. a. verkleidet, bringen sie sich in der Synagoge mit lauten Rasseln, Ratschen, mit Krach und Pfeifen in den Gottesdienst ein.
Was ist der Hintergrund zu diesem ausgelassenen Fest, das die Kinder so lieben? Im Mittelpunkt der Gottesdienste und Feiern steht das biblische Buch Esther, das jährlich am 14. oder 15. Adar (6. jüd. Monat) verlesen wird. Damals lebten die Juden in Persien. Esther wurde ausgewählt, um vor dem persischen König zu tanzen, sollte aber auf den Rat ihres Onkels Mordechai ihre jüdische Herkunft verbergen. Da er selbst sich weigerte, vor Haman, dem herrschsüchtigen Premierminister des Königs niederzuknien, plante dieser ein
Massaker an der jüdischen Bevölkerung. Esther schmiedete einen Plan, sodass am Ende nicht Mordechai sondern Haman am Galgen landete und Mordechai Premierminister wurde.
Deshalb geht es auch beim Purim-Fest darum, die gesellschaftliche Ordnung auf den Kopf zu stellen. Durch den reichlichen Genuss von Alkohol werden die Unterschiede zwischen dem Übeltäter Haman und Mordechai, dem Helden der Geschichte, verwischt. „Haman-Taschen“ oder „Haman-Ohren“, dreieckige Kekse, die mit Mohn, Datteln oder Marmelade gefüllt sind, und andere Süßigkeiten werden gerne verzehrt oder an Bedürftige
verschenkt. Beim Verlesen des Esther-Buches darf bei jeder Nennung das Namens Haman ordentlich Krach gemacht werden, um seinen Namen zu übertönen, was besonders die Kinder erfreut.
Dass es inzwischen auch beim Purim-Fest Festumzüge mit prunkvollen Wagen, mit kostümierten Menschen und Vorträge ähnlich unseren Büttenreden gibt, macht die Vermischung jüdischer und christlicher Traditionen deutlich. Letztlich geht es bei beiden Festen auch darum, die herrschende Ordnung umzukehren, Autoritäten
infrage zu stellen, „die Mächtigen vom Thron zu stürzen“.
Ob es in diesem Jahr gelingt, das neunköpfige Monster, das Corona-Virus namens Omikron in die Schranken zu verweisen und ein heiteres Fest zu ermöglichen, bleibt ungewiss. Vielleicht hilft der Mönchengladbacher Schlachtruf, damit wir hoffnungsvoll und fröhlich die auferlegte Durststrecke überstehen.
„Halt Pohl!“ Veronika Bec