Im Spätherbst 2020 kam Ingrid K., 58 Jahr, zu mir in die Trauerbegleitung. Ihre Mutter war im Frühjahr gestorben. Ingrid hatte ihr Leben lang mit ihrer Mutter zusammengewohnt. Sie war kurz verheiratet gewesen, die Ehe hatte aber nicht gut funktioniert und Ingrid trennte sich kinderlos von ihrem Mann. Sie war erfolgreiche Mitarbeiterin einer Krankenkasse. Auch wichtige Freundinnen gab es. Der Vater von Ingrid war schon vor Jahren gestorben und in der Zeit mit der Mutter alleine waren die beiden Frauen noch enger zusammengewachsen, fast wie beste Freundinnen. Nach dem Tod hatte Ingrid gute Unterstützung bekommen bei Arbeitskollegen und- kolleginnen und bei den Freundinnen. Nun war es schon einige Monate her und Ingrid traute sich nicht mehr, immer wieder von ihrem Verlust zu erzählen. Besonders quälte sic die Frage, was wohl an Weihnachten werden solle. Eine Freundin hatte ihr zu einem schönen Urlaub geraten. Sie hatte das hin und her überlegt, war aber zu der Einsicht gekommen, dass sie in der Zeit nicht wegfahren möchte. Sie wollte nicht all die vielen Weihnachten vergessen, die sie mit ihrer Mutter verbracht hatte. Sie wollte nicht in völlig anderer Umgebung so tun als wäre nichts. Sie wollte mit der Mutter verbunden sein.
Ihr Bruder hatte ihr angeboten, zu ihnen zu kommen. Er lebte mit seiner Frau einige Häuser weiter und besonders die Schwägerin machte ihr Druck, sie könne doch nicht an Weihnachten alleine bleiben. Weihnachten sei doch das Fest der Familie, das sollten sie jetzt zusammen begehen. Aber auch dieses Angebot machte Ingrid kein gutes Gefühl. „Wir haben nie zusammen gefeiert“, sagte sie. Auf meine Frage, wonach sie sich denn sehne, antwortete sie, sie wolle so feiern, wie sie es mit ihrer Mutter immer getan habe. Sie erzählte mir dann mit leuchtenden Augen, dass sie sich immer ein schönes Essen gekocht hätten, sich feierlich gekleidet hätten und dann gemeinsam mit Musik gegessen hätten. Nachts seien sie in einen Weihnachtsgottesdienst gegangen. Ich fragte dann weiter, ob sie sich jemand vorstellen könne, der so mit ihr feiere. Das konnte sie aber nicht und sie sagte sehr deutlich, sie wolle das allein tun, in Gedanken und in Verbindung mit ihrer Mutter. Das kam so klar und so deutlich, dass ich Ingrid ermutigt habe, dass genau so zu tun. „Wenn das ihr Weg ist und sie fühlen, dass sie so mit ihrer Mutter in Verbindung sein können, dann tun sie das“. Wir haben zusammen geschaut, wo es in der Heiligen Nacht einen Gottesdienst gab und überlegt, wie sie ihren Plan ihrem Bruder gegenüber verteidigt.
Nach Weihnachten kam Ingrid sehr zufrieden in die Beratung und sagte, es habe traurige Moment gegeben, aber es sei ein guter Abend gewesen. Sie habe sich wohl gefühlt und in enger Verbindung mit ihrer Mutter, die mit Foto und in ihren Gedanken dabei gewesen sei. Im nächsten Jahr könne das vielleicht schon anders aussehen, aber jetzt sei es genau richtig gewesen.
Text: Beatrix Hillermann, Trauerseelsorgerin St. Elisabeth
Bild: U. Reindorf